Der Referentenentwurf zur DiPA-Verordnung: Ein Durchbruch für Digitale Pflegeangebote?

Der Gesetzgeber hat erkannt, dass neben DiGA auch digitale Pflegeanwendungen (DiPA) Betroffene unterstützen und einen Beitrag zur Organisation und Bewältigung des Pflegealltags leisten können. Durch das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierung-Gesetz (DVPMG) vom 09.06.2021 wurden erstmals DiPA in die Regelversorgung aufgenommen. Letzterem widmet sich der am 17. Mai 2022 durch das Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichte Referentenentwurf zur Verordnung über das Verfahren und die Anforderungen zur Prüfung der Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen in der Sozialen Pflegeversicherung (Verordnung zur Erstattungsfähigkeit digitaler Pflegeanwendungen – VdiPA).

Zweck und Regelungsgehalt der DiPA-Verordnung

Allgemeines Ziel ist die Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Verfügbarkeit guter und sicherer digitaler Pflegeanwendungen für Pflegebedürftige, pflegende Angehörige, sonstige ehrenamtlich Pflegende, für nach dem SGB XI zugelassene ambulante Pflegeeinrichtungen sowie für Kostenträger. Die VDiPA (E) konkretisiert nach Maßgabe des § 78a Abs. 6 SGB XI die gesetzlich geregelten Verfahrensvorgaben. Durch die Rechtsverordnung soll sichergestellt werden, dass „qualitativ hochwertige digitale Pflegeanwendungen im häuslichen Pflegekontext genutzt werden können und so einen pflegerischen Mehrwert insbesondere für die Pflegebedürftigen leisten“. Zugleich wird den Herstellern Vorhersehbarkeit und Klarheit hinsichtlich der Voraussetzungen für die Aufnahme in das Verzeichnis für digitale Pflegeanwendungen (DiPA-Verzeichnis) versprochen, § 16 ff. VDiPA (E). Dieses Verzeichnis soll ähnlich dem DiGA-Verzeichnis insbesondere Angaben zum Hersteller, zum pflegerischen Nutzen, zu den vorgelegten Studien und den Vergütungsbeiträgen enthalten.

Wie sollen diese Ziele erreicht werden?

Um diese Ziele zu erreichen, beschreibt die Rechtsverordnung Anforderungen, die die gesetzlichen Vorgaben im Pflegeversicherungsrecht konkretisieren. Hervorzuheben sind:

  • die Definition der an digitale Pflegeanwendungen zu stellenden Anforderungen insbesondere hinsichtlich Sicherheit, Funktionstauglichkeit, Qualität, Datenschutz und Datensicherheit (Abschnitt 2),
  • verlässliche Vorgaben für den Nachweis des pflegerischen Nutzens (Abschnitt 3),
  • weitere Regelungen zu den Einzelheiten des Antrags- und Anzeige- sowie Prüfverfahrens beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, um die Einhaltung der Anforderungen an erstattungsfähige DiPA initial und im Falle wesentlicher Veränderungen der Anwendungen dauerhaft zu gewährleisten (Abschnitt 4) sowie
  • Näheres zu den Inhalten und Modalitäten der Veröffentlichung eines funktionalen, nutzerfreundlichen und transparenten Verzeichnisses für digitale Pflegeanwendungen (Abschnitt 5).

Zu begrüßen ist, dass sich die VDiPA (E) am Anforderungsniveau des Digitale-Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) orientiert, um einen qualitativen Gleichlauf zu gewährleisten (etwa § 6 des VDiPA (E)). Bisherige Erfahrungswerte im Bereich DiGA sind dadurch nutzbar. Der Referentenentwurf benennt für diesen Gleichlauf etwa die vorgelagerte Beratung von DiPA-Herstellern (§ 19 VDiPA (E), § 23 DiGAV), die Durchführung des Prüfverfahrens beim BfArM an sich (§§ 13 ff. VDiPA (E), §§ 16 ff. DiGAV) und die Anzeige wesentlicher Veränderungen (§ 14 f. VDiPA (E), § 18 f. DiGAV).

Erfreulich ist auch, dass der „pflegerische Nutzen“ i.S.d. § 78a Abs. 4 Satz 3 Nr. 3 und Abs. 6 Nr. 2 SGB XI, entsprechend den „positiven Versorgungseffekten“ bei digitalen Gesundheitsanwendungen (§ 139e Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB V) in § 9 VDiPA (E) konkretisiert wird. Ein pflegerischer Nutzen im Sinne des § 78a Absatz 4 Satz 3 Nr. 3 SGB XI liegt nach § 9 VDiPA (E) vor, wenn durch die Verwendung der digitalen Pflegeanwendung Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten der pflegebedürftigen Person gemindert werden oder einer Verschlimmerung der Pflegebedürftigkeit entgegengewirkt wird (§ 40a Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Maßgebend sind hierbei die in § 14 Abs. 2 SGB XI aufgeführten Kriterien. Dass digitale Pflegeanwendungen auch zur sozialen Teilhabe der Pflegebedürftigen beitragen können, weil ein pflegerischer Nutzen im Rahmen der Bewältigung alltäglicher Belastungen und der Pflege sozialer Kontakte i.S.d. § 14 Abs. 2 Nr. 5 und Nr. 6 SGB XI anerkannt wird, ist klar zu begrüßen. Daneben entspricht es der täglichen Praxis, dass nach § 9 Abs. 3 2 VDiPA (E) ein pflegerischer Nutzen auch dann vorliegt, wenn die digitale Pflegeanwendung primär pflegenden Angehörigen oder sonstigen ehrenamtlich Pflegenden in ihrem pflegerischen Alltag nutzt und sich zugleich zugunsten der pflegebedürftigen Person positiv auswirkt.

Ist jede DiPA auch ein Medizinprodukt?

Nicht jede DiPA ist zugleich auch ein Medizinprodukt im Sinne des Art. 2 Nr. 1 der Medizinprodukteverordnung (VO (EU) 2017/745). Insoweit unterscheidet die VDiPA (E) zwischen Nicht-Medizinprodukten und Medizinprodukten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an Sicherheit und Funktionstauglichkeit der Anwendungen nach § 3 und § 4 VDiPA (E). Entscheidend ist die richtige Einordnung vor allem deshalb, weil sich Medizinprodukte über die medizinische Zweckbestimmung definieren, die der Hersteller ihnen zuschreibt. Sind digitale Pflegeanwendungen nach den Bestimmungen des Medizinprodukterechts als Medizinprodukt zu beurteilen, dürfen nur solche Produkte in den Verkehr gebracht werden, die vor allem die strengen Anforderungen an Sicherheit und Funktionstauglichkeit erfüllen. Dies ist im Rahmen des medizinprodukterechtlichen Konformitätsbewertungsverfahrens festzustellen. Bei Nicht-Medizinprodukten ist ein anderer Maßstab anzulegen. Hier wird der Sicherheitsnachweis durch Herstellerangaben im Rahmen eines Fragebogens erbracht (Anlage 1 zur VDiPA (E)).

Offene Punkte und Kritik

Klärungsbedürftig bleibt, weshalb Anwendungen, die der allgemeinen Lebensführung dienen, nach § 40a Abs. 1a Satz 2 SGB XI keine DiPA sein können, während nach § 9 Abs. 2 VDiPA (E) i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 6 SGB XI ein pflegerischer Nutzen gerade auch dann angenommen wird, wenn die DiPA positive Wirkungen auf die Gestaltung des Alltagslebens sowie sozialer Kontakte hat.

Zu kritisieren ist aber vor allem der geringe Leistungsanspruch der Pflegebedürftigen von höchstens 50,00 EUR im Monat, vgl. § 40b SGB XI. Hiervon umfasst ist nicht nur die DiPA selbst, sondern auch ergänzende Unterstützungsleistungen durch ambulante Pflegeeinrichtungen, pflegende Angehörige und sonstige ehrenamtlich Pflegende, § 39a SGB XI. Sofern Leistungen den Höchstbetrag übersteigen, haben die Pflegebedürftigen die Kosten selbst zu tragen. Hierdurch könnte die Akzeptanz der DiPA durch Pflegebedürftige aber auch durch potenzielle Hersteller von Anbeginn verspielt werden. Die zu erbringenden Nachweise für den pflegerischen Nutzen, die Datensicherheit und das ggf. erforderliche Konformitätsbewertungsverfahren nach dem Medizinprodukterecht allein bedingen hohe Investitionskosten, so dass eine maximale Erstattung i.H.v. 50,00 EUR durch die Pflegekasse unabhängig davon, was DiPA und Unterstützende leisten, ein zu eng gesteckter Rahmen ist. 

Dr. Constanze Püschel                                               Dr. David K. Shaverdov